Verwandtschaft und Religiosität. Korrespondenzen protestantischer Fürstinnen und Fürsten in der Reformationszeit

Verwandtschaft und Religiosität. Korrespondenzen protestantischer Fürstinnen und Fürsten in der Reformationszeit

Organisatoren
Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde, Dresden; Sächsisches Staatsarchiv – Hauptstaatsarchiv Dresden
Ort
Dresden
Land
Deutschland
Vom - Bis
08.11.2018 - 09.11.2018
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Von
Frauke Petersen, Institut für Historische Landesforschung, Universität Göttingen

Die Erschließungsarbeit von Fürstinnenkorrespondenz geschieht immer noch, obwohl ebenso aufschlussreich wie die der Fürsten, nur ausschnitthaft. Dieser interdisziplinär ausgelegte Workshop, der im ehemaligen Lesesaal des Hauptstaatsarchivs in Dresden ausgerichtet wurde, hatte zum Ziel, sich an kommunikative Strukturen von Fürstinnen der Reformationszeit anzunähern und eine Bewertung der genealogischen Einbindung wie dynastischer Entscheidungen zu versuchen.

Die Grußworte wurden durch PETER WIEGAND und WINFRIED MÜLLER gesprochen, die als Repräsentanten des Archivs und des Instituts die produktive und langjährige Zusammenarbeit beider Institutionen hervorhoben. Von den Arbeiten des Archivs im Bereich der Digitalisierung sowie die des Instituts in Grundlagenforschung und Vermittlungsarbeit im Sächsischen Raum könne die Korrespondenzforschung nur profitieren.

Der Organisator JENS KLINGNER (Dresden) eröffnete den Workshop mit einem Überblicksvortrag zu den Potenzialen und Desideraten der Forschung im Bereich der Briefwechsel von Fürstinnen und Fürsten. Er stellte seine eigene Arbeit am Langzeitprojekt zu Herzogin Elisabeth von Sachsen dar. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass die Annäherung an Erschließung der Fürstinnenkorrespondenz, Muster, Strukturen und Entscheidungsarbeit von Fürstinnen maßgeblich Ziel des Workshops sei. Die Überlieferungslage, so Klingner, müsse unbedingt kritisch hinterfragt werden. Forschungspotenzial sieht der Referent gerade im Bereich von Mittler- und Vermittlungsfunktionen, um verlorene Briefe aufzuspüren. Fragen nach der mündlichen und schriftlichen Verschränkung von Sprache, normierter Schreibart oder auch Auswirkungen spezifischer Beziehungskonstellationen auf kommunikative Rhetorik müssen weiter untersucht werden.

STEFAN MICHEL (Jena/Leipzig) stellte anhand des umfangreich überlieferten Briefwechsels zwischen den Kurfürsten Friedrich und Johann von Sachsen dar, wie die Korrespondenz zweier Brüder aussehen konnte, die sich Regierungsgeschäfte teilten. Ihre Briefe zeichneten sich durch eine hohe sprachliche Nähe aus und doch wurde deutlich, dass ihre Kommunikation wesentlich über die Schriftlichkeit hinausging. Trotz dessen, dass viele Themen für persönliche Treffen vorbehalten wurden, diente der Briefwechsel auch dazu, die Kanzlei und Vertraute des jeweils anderen auf dem Laufenden zu halten. Michel sah in der schriftlichen Zurückhaltung, auch in Bezug auf Äußerungen zu Sympathien der Brüder mit Luther, eher etwas Spezifisches für diesen Briefwechsel, machte aber deutlich, dass hier keine Trennung zwischen Privatem und Politischem aufrechterhalten werden könne.

In der Auseinandersetzung mit Korrespondenzen unter Eheleuten zeigte VERA FAßHAUER (Frankfurt am Main) religiöse Konfliktfelder für drei Fürstinnen der Reformationszeit auf und schilderte wie diese sich im Spannungsfeld zwischen Familie und Religion positionierten. So beschrieben Kurfürstin Sybille von Jülich-Kleve-Berg, Herzogin Elisabeth von der Pfalz und Herzogin Dorothea Susanna von Pfalz-Simmern sich als Märtyrerinnen für den neuen Glauben, um dynastische Entscheidungen zu ihren Gunsten zu bewirken. Ihre Methoden waren dabei die Bedienung des lutherischen Weiblichkeitsideals, die Netzwerkpflege und die Betonung einer göttlichen Verantwortung als Landesmutter. Während die Durchsetzung auch gegen die eigene Herkunftsfamilie nicht immer erfolgreich war, vermittelte Faßhauer doch, dass diese Frauen sich über die eigene Position im dynastischen und religionspolitischen Gefüge im Klaren waren. Mit der Inszenierung bestimmter Weiblichkeit bei Sybille von Jülich-Kleve-Berg setzte sich im Anschluss ANDREAS RUTZ (Bonn) auseinander. So konnte er zeigen, dass Sybille, die nicht nur für ihren Mann, sondern auch für die höfische Öffentlichkeit schrieb, während der Gefangenschaft ihres Mannes eine spezifische Frömmigkeit nach außen trug, die auf dem lutherischen Hausfrauenideal beruhte. Zugunsten ihres Mannes löste Sybille sich aus der augenscheinlichen totalen Unterordnung unter ihren Mann und entschied eigenständig. Rutz sieht hier keine Besonderheit Sybilles, sondern die Normalität der Einbindung der Frauen in den dynastischen Aufgabenbereich.

HANNES ZIEGLER (London) löste in seinem Vortrag zur „guten Korrespondenz“ den Konflikt zwischen Inszenierung und Internalisierung auf, indem er von Performanz ausgeht. Die Rhetorik der Gemütsbewegungen sei Taktik, die Eintracht durch emotionale Kommunikation befördern könne. Die gute Korrespondenz baue auf die Eigenschaften Geheimhaltung, Gegenseitigkeit und der Meidung von Misstönen auf, die Ziegler in der Überprüfung des Briefwechsels Herzogin Elisabeths von Sachsen vor allem dort explizit gemacht sah, wo es zu Brüchen kam, z.B. beim Ausbleiben von Briefen. Diese war Zustand und Praxis einer Korrespondenz, die durch Gestaltungselemente, wie das eigenhändige Brieflein, und Verpflichtungen, wie das gegenseitige Übermitteln von Informationen, zur Kapitalakkumulation genutzt werden konnte und war somit Teil des höfischen Werbungswesens.

Den zweiten Tag des Workshops begann SVEN RABELER (Kiel) mit einem Vortag über höfische Patronage am Beispiel Herzogin Zdenas von Sachsen. Rabeler verstand Patronage als Verteilung von Gunst zu steuernden Funktionen, deren kommunikatives Medium Briefe seien. Zdena, die eigentlich als nicht-politische Fürstin galt, habe sich für ihren direkten Hofstaat und gerne auch für Geistliche verwendet. Dabei skizzierte Rabeler, dass sie in der Lage war, sich sprachlicher Manöver zu bedienen, um ihren Anliegen Nachdruck zu verleihen. Sie, die selbst Teil der höfischen Gunstverteilung war, habe Patronage als ihren selbstverständlichen Aufgabenbereich verstanden.

BEATE KUSCHE (Leipzig) untersuchte den Briefkorpus zwischen Kurfürst Friedrich und Herzog Georg von Sachsen unter kirchenpolitischen Gesichtspunkten. Kusche zeigte exemplarisch Unterschiede zwischen Hand- und Kanzleischreiben dieser Korrespondenz auf. Sie hielt eine Trennung von persönlicher und dynastischer Korrespondenz fest, denn seien nicht nur die Handschreiben in vertrauterem Duktus und mit persönlichen Pronomen verfasst, sie behandelten weiterhin Vertraulichkeiten der engeren Familie, wohingegen Kanzleischreiben vor allem Angelegenheiten der gemeinsamen Dynastie betrafen. Wurde Luther bis in die 1520er-Jahren nur in Handschreiben erwähnt, entwickelte sich aus der Uneinigkeit über Kirchenpolitik eine Mischform aus Kanzlei- und Handschreiben, was Kusche als neuen Brieftyp klassifizierte, und damit spiegelte dieses neue Briefmedium die geringere Vertrautheit der veränderten Beziehung wider. So machte Kusche deutlich, dass der Beziehungswandel in den Briefen sichtbar wurde.

Der Vortrag von MONIKA SCHNEIKART (Greifswald) wurde von BRITTA-JULIANE KRUSE (Wolfenbüttel) verlesen. Sie stellte einen Briefkorpus der Herzogin Sophia von Holstein-Gottorf an ihre Mutter Herzogin Christine von Hessen vor, der drei Konflikte, nämlich sittlicher, familiärer und finanzieller Natur, abbildete. Dabei erläuterte sie, dass Sophia ihrer Mutter, der sie eigentlich kindlichen Gehorsam schulde, in ihrer Identität als gefestigte protestantische Fürstin entgegentrat. Sie argumentiere auf Basis protestantischer Anthropologie und im Bewusstsein lutherischer Sozialnormierungsstrategien, was sowohl beispielhafte weibliche Frömmigkeit, als auch katechetische Textsicherheit zeige. Schneikart wies außerdem darauf hin, dass Handlungen von Fürstinnen im Finanzbereich, wo Sophia und Christine erfolgreich tätig waren, noch ein Forschungsdesiderat mit viel Potenzial darstellen.

Den Abschluss der Workshop schloss SOPHIE ZIEGLER (Kassel) mit ihrer Auseinandersetzung zu familiärer Korrespondenz während des Dreißigjährigen Krieges. Sie untersuchte die Vierecksbeziehung zwischen den Eheleuten Kurfürst Johann Georg von Sachsen und Magdalena Sybilla mit Landgraf Georg II. von Hessen-Darmstadt und Sophia Eleonora. Ziegler charakterisierte für den untersuchten Briefbestand eine thematisch-textuelle Ebene, die sich an die dynastische Hierarchie anpasse, eine materielle Ebene, in der beispielsweise Haptik zur textlichen Codierung hinzukäme, und eine mündliche Ebene, dargestellt durch Boten und Werbung. Die Konstituierung eines Briefs nach diesen Gesichtspunkten erfülle eine Ersatzfunktion an dem durch Abwesenheit geprägten Hof.

Während des Workshops wurde nochmal deutlich, wie facettenreich die Briefbestände der Fürstinnen und Fürsten sind, sowohl im Bereich ihrer sprachlichen und textuellen Eigenarten, wie auch in Überlieferung und Aufbewahrung. Mithilfe der Projektion auf die Fürstenbriefe konnten spezifische Muster angenähert werden, doch dass hierbei lange nicht alle offenen Fragen beantwortet werden konnten, während der Diskussionen sogar noch mehr aufgeworfen wurden, zeugt von der Notwendigkeit und dem Potenzial, die in der weiteren Erforschung dieses Themenbereichs aus interdisziplinärer Perspektive liegen.

Konferenzübersicht:

Peter Wiegand, Leiter der Abteilung Hauptstaatsarchiv Dresden des Sächsischen Staatsarchivs

Winfried Müller, Direktor des Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde, Dresden

Jens Klingner, Dresden: Briefwechsel protestantischer Fürstinnen und Fürsten des 16. Jahrhunderts. Desiderate und Potentiale

Stefan Michel, Jena/Leipzig: Ständige Kommunikation. Der briefliche Austausch zwischen den Brüdern Friedrich und Johann von Sachsen von 1513 bis 1525

Vera Faßhauer, Frankfurt a. M.: „der teuffell weret vberall“. Religions- und machtpolitische Konflikte in den Familienkorrespondenzen ernestischer Fürstinnen des 16. Jahrhunderts

Andreas Rutz, Bonn: Beten für den Gatten. Zur Inszenierung von Weiblichkeit in den Briefen Sibylles von Jülich-Kleve-Berg an Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen, 1547 bis 1551

Hannes Ziegler, London: Was ist „gute Correspondentz“? Persönliches und Politisches in Fürstenbriefwechseln des 16. Jahrhunderts

Sven Rabeler, Kiel: Die Fürstin und ihre Klienten. Höfische Patronage in den Briefen Herzogin Zdenas von Sachsen (1449–1510)

Beate Kusche, Leipzig: „Unsern Glauben in Gott setzen und uns seiner Gebote mehr fleißigen“. Die Korrespondenz zwischen Kurfürst Friedrich und Herzog Georg von Sachsen

Monika Schneikart, Greifswald (gelesen von Britta-Juliane Kruse, Wolfenbüttel): Der Briefwechsel zwischen Tochter und Mutter. Sophia von Holstein-Gottorf (1569–1634) und Christine von Hessen (1543–1604)

Sophie Ziegler, Kassel: Von naher „anverwandnus, Kricksvolk“ und dem „schirmb Gottes“. Familiäre Korrespondenz zwischen dem Dresdner und dem Darmstädter Hof während des Dreißigjährigen Krieges


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